- Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Utopie oder Realität?
- Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Utopie oder Realität?Franzosen benutzen ganz selbstverständlich alltäglich das bislang gültige Münzgeld, das auf der Vorderseite in Großbuchstaben die Umschrift LIBERTÉ— ÉGALITÉ— FRATERNITÉ trägt. Wird die Französische Revolution thematisiert, dann werden die meisten, interessierte Laien wie professionelle Historiker, in einem Atemzug die berühmte Parole »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« im Munde führen. Offensichtlich ist die Annahme, die einprägsame Devise sei die zentrale Botschaft der Revolution, weit verbreitet. Das lässt sich zum einen aus der Tatsache ablesen, dass das historische Ereignis und die dazu geprägte Begrifflichkeit häufig gleichgesetzt werden. Zum anderen scheint im Allgemeinen Übereinstimmung darüber zu herrschen, dass die drei miteinander verschweißten Wörter eine natürliche Deckungsgleichheit mit dem französischen Wesen verkörpern. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die Schlagwörter bestechen nicht nur durch ihre eingängige Formelhaftigkeit, die von jedermann verstanden und inhaltlich gefüllt werden kann. Vor allem aber fördern sie den Gedanken der Einheit, der von Beginn an für das Gelingen der Revolution von existenzieller Bedeutung war. Darin liegt der wahre Grund ihres Erfolges.Während sich die Franzosen zunehmend mit der Revolutionsparole identifizierten, wurde sie in abgewandelter Form auch für die meisten Europäer und Amerikaner zur Richtschnur politischen Handelns. Stehen Erfolg und Wirkung der Revolutionsparole außer Frage, so sind die Hintergründe ihrer Entstehung unscharf und keineswegs eindeutig geklärt. Wer kann mit Bestimmtheit sagen, welche Begriffsinhalte sich hinter der republikanischen Bekenntnisformel des Revolutionszeitalters verbergen? Ebenso häufig gebraucht wie missbraucht, ist die Formel heute zu einer Banalität geronnen. Hier gibt es nach über 200 Jahren noch manches zu entdecken.Zur Entstehung der RevolutionsparoleEine erste Überraschung: Im Gegensatz zu dem, was selbst in Frankreich oft und gern übersehen wird, wurde die geschichtsmächtige Trias (Dreierformel) Liberté, Égalité, Fraternité während der Großen Revolution von 1789 niemals wirklich eingeführt. Ihre Geburt als offizielle Devise erfolgte erst zu Beginn der Dritten Republik (1871—1944). Ursprung, Verbreitung und »Gründungsakt« der Revolutionsparole, die eigentlich an die Leitbegriffe der Zweiten Republik (1848—1852) anknüpfte, gehören demnach unterschiedlichen Epochen an und klaffen zeitlich weit auseinander. Ähnliches gilt auch für weitere nationale Symbole wie den Nationalfeiertag (14. Juli), der erst seit 1880 gesetzlich geregelt ist, oder die Marseillaise, die zunächst 1795, endgültig aber erst 1879 zur offiziellen Nationalhymne erklärt wurde.Entstehung und Einführung der republikanischen Revolutionsdevise verbindet dennoch ein gemeinsames Merkmal: In beiden Fällen waren politische Gründe ausschlaggebend. Die Parole »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« entstand nicht zu Beginn der revolutionären Umwälzungen im Jahre 1789, sondern erst im weiteren Verlauf der Revolution. Doch entgegen der bei den Zeitgenossen verbreiteten Annahme war die Devise weder Resultat einer spontanen oder anonymen Aktion noch ist sie aus der erfinderischen Energie eines Kollektivs entstanden.Die Revolutionäre zeigten von Anfang an eine große Neigung zu Dreierkonstellationen. Das hing zum einem mit der historischen Erfahrung der drei Stände, Geistlichkeit, Adel und dritter Stand (tiers état), in der Zeit der alten Monarchie zusammen, die nun endlich, nachdem sich der tiers état im Sommer 1789 zur Nationalversammlung konstituiert hatte, vereint waren. Zum anderen war die überlieferte christliche Dreieinigkeitsformel (Gottvater, Sohn und Heiliger Geist) tief im Bewusstsein der Menschen verankert. Sie war ein wesentlicher Bestandteil der katholischen Glaubenslehre, gegen deren Absolutheitsanspruch, Traditionalismus und praktizierten »Aberglauben« sich bereits die Aufklärung vehement zur Wehr gesetzt hatte. Die Revolution folgte bedingungslos diesem vorgegebenen antiklerikalen Weg und stellte die Autorität der christlichen Kirche infrage. Allerdings schuf sie zunächst keine neue Autorität, die an die Stelle des Christentums hätte treten können, sondern verstärkte nur eine Anzahl weiterer Autoritäten, die miteinander rivalisierten.Eine Vorliebe für Dreierformeln lässt sich ebenfalls aus der Tatsache ablesen, dass sich ein Großteil der Revolutionäre offen oder verdeckt als Freimaurer betätigte. Auch sie waren von Dreierkadenzen (Heil, Kraft, Einheit) entzückt, aber als Erfinder der magischen Devise kommen sie nicht in Betracht. Gleichheit zählte bei ihnen alles, für die Freiheit konnten sie sich erwärmen, aber die Brüderlichkeit galt bei ihnen wenig. Manchmal tauchten dennoch nach 1789 der freimaurerischen Idee entlehnte Begriffe auf wie »Einheit, Kraft, Tugend« oder »Kraft, Gleichheit, Gerechtigkeit«. Und tatsächlich konnte man gelegentlich »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« entdecken, aber keinesfalls häufiger, eher seltener als andere Parolen.In der Öffentlichkeit erstmals benutzt wurde die republikanische Parole anlässlich der Feierlichkeiten zum Jahrestag des Bastillesturms am 14. Juli 1790 auf dem Marsfeld in Paris. Die Devise prangte auf Fahnen der Föderierten vor allem der Dauphiné und der Franche-Comté. In diesen beiden Provinzen hatte sich der Geist des Aufruhrs und der Veränderung einen besonders starken Ausdruck verschafft. Der erste Vorstoß, die Bekenntnisformel für revolutionäre Entschlossenheit in die Öffentlichkeit zu tragen, ging aus dem radikalen politischen Klub der Cordeliers hervor. Dort bekräftigte ein Mitglied im Mai 1791 in einer Rede über die Armee die Auffassung, neben der Verfassung und der Gerechtigkeit solle sich das französische Volk der »universellen Brüderlichkeit« annehmen. Um dieser Parole sichtbaren Ausdruck zu verleihen, schlug er vor, dass jeder Soldat sie durch eine unterhalb des Herzens angeheftete Plakette mit dem Aufdruck »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« bekunden solle. Der Vorschlag wurde von den Anwesenden begeistert aufgenommen, aber erst 1793 verhalf der Buchdrucker Momoro der Devise zum endgültigen Durchbruch. Bezeichnenderweise verdankte ausgerechnet die Brüderlichkeit als friedfertigste aller drei Begriffe ihre Entstehung einer Soldatentaufe.Der offensichtliche Mangel an Glanz und Klarheit ließ eine gemeinsame, zeitgleiche Geburt nicht zu. Die Entstehung der Trias war ein langwieriges Flickwerk. Sie staffelte sich über drei Zeitabschnitte, von denen jeder einer bestimmten Epoche des revolutionären Prozesses entsprach. Zuerst tauchte die Freiheit als populärstes Konzept aus den ersten Tagen der Revolution auf. Ihr folgte nach dem Sturz der Monarchie (10. August 1792) die Gleichheit, während die Brüderlichkeit erst während der Regierungszeit der Bergpartei, im Herbst 1793, ihre Chance erhielt.Freiheit und GleichheitDie Revolutionäre selbst betonten gern die Stufenfolge der Parole, um das Prozesshafte der Revolution herauszustellen. Der jakobinische Abgeordnete Barère rief während der Debatte über die Verfassung der Girondisten aus: »Unsere Revolution ist nicht nur die der Freiheit, sondern auch die Revolution der Gleichheit, zu dieser fanden wir unter den Trümmern eines Throns zurück.« Eine ähnliche Betrachtungsweise lag auch dem am 22. September 1793 rückwirkend eingeführten Revolutionskalender zugrunde. Er bestimmte das Jahr I als Jahr der Freiheit (Erstürmung der Bastille) und das Jahr II (Einführung der Republik) als Jahr der Gleichheit. Diese Schwierigkeiten hängen ganz offenbar mit der Tragödie der Revolution zusammen: Der Freiheitsgedanke von 1789, der den Despotismus des Ancien Régime vernichten sollte, hatte sich bereits im Sommer 1793 in ein neues Gewand gehüllt: Er war selber zu einer despotischen Herrschaft entartet.Dabei hatten die Revolutionäre zu Beginn der Revolution nicht den geringsten Zweifel an der freien Zirkulation zwischen Freiheit und Gleichheit. Die eine Kategorie galt gleichsam als Voraussetzung für die andere. Denn Gleichheit konnte nur gewährleistet sein, wenn Freiheit bereits existierte. Die Erfahrung mit der alten Monarchie hatte gelehrt, dass ein absoluter König, von den Aufklärern absichtsvoll als Despot gebranntmarkt, keine Gleichheit zuließ. Erst die durch Gesetz sichergestellte Gleichheit erlaubte auch die Freiheit. Die allgemeine Gültigkeit des Gesetzes garantierte die gleichzeitige Handhabung von Freiheit und Gleichheit. Diese Identifikation setzte voraus, dass Freiheit ursprünglich negativ definiert war, als Freiheit im Sinn von »Befreiungen« von Vorrechten und Privilegien, die es vor Fürstenwillkür zu schützen galt. Die Freiheit war im Selbstverständnis der Träger der Französischen Revolution und wirkungsgeschichtlich die bedeutendste der drei revolutionären Devisen. Sie wurde als natürliches Recht verstanden, als Freiheit, »alles tun zu können, was den Rechten eines anderen nicht schadet«, wie es im Artikel2 der Menschenrechtserklärung von 1795 heißt. Den individuellen Freiheitsrechten des Gewissens und der freien Meinungsäußerung entsprachen auf der politischen Ebene die Volkssouveränität, das Wahlprinzip und die Gewaltentrennung, auf der ökonomischen die Unverletzlichkeit des Eigentums. Getreu der Staatsrechtslehre Jean-Jacques Rousseaus, die er in seinem Werk »Der Gesellschaftsvertrag« (Du contrat social) niedergelegt hat, wurde der freie Vertrag als Basis aller sozialen Beziehungen angesehen.»...von Geburt aus frei und gleich an Rechten«Analog zur Freiheit lag auch der Gleichheit ursprünglich eine negative Definition zugrunde. Sie wurde auf abstrakte Weise als wesentlicher Bestandteil der neuen Rechtsprechung begriffen. Im 1. Artikel der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 heißt es: »Die Menschen sind und bleiben von Geburt aus frei und gleich an Rechten. Soziale Unterschiede dürfen nur im gemeinen Nutzen begründet sein.« Dieser zentrale Passus hob in ausdrucksstarker Kürze alle bisherigen Formen der Ungleichheit auf, bedeutete aber gleichzeitig den Tod der alten ständischen Herrschaftsordnung. Denn nun sollten keine Unterschiede mehr aufgrund von Geburt, Stand, Lebensweise und gesellschaftlichem Ansehen gemacht werden; alle Menschen waren prinzipiell vor dem Gesetz gleich, und ein jeder Bürger musste unterschiedslos zum Steueraufkommen des Staates beitragen. Das änderte sich in der jakobinischen Phase mit dem Aufkommen einer anderen Definition von Gleichheit. Nicht mehr die Gleichheit der Rechte, sondern der Güter, der Freuden und sogar der Erfüllung individueller Wünsche war jetzt oberstes Gebot. »Gemeinschaftlichkeit« wurde groß geschrieben und zur Maxime republikanischer Tugendhaftigkeit hochstilisiert, was für den Freiheitsbegriff eine verhängnisvolle Bedeutung hatte: Die Freiheit fiel der Gleichheit zum Opfer. Den bürgerlichen Erben der Jakobiner wiederum ging diese Anbetung der Gleichheit zu weit; sie fürchteten die massenhafte Forderung nach wirtschaftlicher Gleichheit und bekundeten ihre revidierte Vorstellung von Gleichheit in der Erklärung der Menschenrechte von 1795, die nur noch ein schwacher Abglanz derjenigen von 1789 war. Jetzt hieß es nur noch: »Die Gleichheit besteht darin, dass das Gesetz für alle gleich ist... Die Gleichheit lässt keinen Unterschied der Geburt, keine Vererbung der Macht zu« (Artikel3).Freiheit und Gleichheit waren alles andere als »unsterbliche Gefährtinnen«, wie sie der Bildhauer Joseph Chinard in seinem Kommentar zu einem Flachrelief, das er für das Rathaus von Lyon gemeißelt hatte, idealisierend charakterisierte. Die Devise der Freiheit wurde spätestens seit Einführung der Republik am 10. August 1792 verstanden als »Frei leben oder sterben«. Dieses Motto schmückte die Fahnen der Nationalgarde und die »Altäre des Vaterlandes« ebenso wie es als Leitspruch auf Briefbögen, in Reden, Proklamationen und Eidesformeln breite Verwendung fand. Der Freiheitsbegriff wurde in der Folgezeit immer enger ausgelegt. Unter der Herrschaft des radikalen Jakobiners Maximilien de Robespierre waren nur diejenigen im Besitz der Freiheit, die auch über Macht verfügten. »Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit« war eine typische Devise der Schreckensherrschaft der Jahre 1793/94.Die BrüderlichkeitAls letzte der drei Devisen tauchte die Brüderlichkeit auf. Ihr fiel in vielerlei Hinsicht die undankbare Aufgabe zu, die Widersprüche, die sich bei der praktischen Verschmelzung von Freiheit und Gleichheit ergaben, zu glätten, wenn nicht auszugleichen. Die Brüderlichkeit gehört zu einer anderen Ordnung: der der Pflichten und nicht der Rechte, der der menschlichen Harmonie und nicht der Verträge, der der Gemeinschaft und nicht des Individuums. Einer Ordnung, die eher körperlich ist als intellektuell, eher religiös als juristisch, eher spontan als überlegt. Die bildliche Darstellung betont diese Ursprünglichkeit: Kleine Kinder, Blumensträuße und Tauben zieren zuhauf die Illustrationen. Die Menschenrechtserklärung von 1795 kleidete diesen Typus der Brüderlichkeit, der die Verwirklichung einer quasireligösen, glücklichen Gemeinschaft verhieß, in das Gewand einer biblischen Formel: »Tue andern nicht, was du nicht willst, das man dir tue. Erzeige andern beständig das Gute, welches du selbst von ihnen zu erhalten wünschest.« Fraternité nicht mehr als bloßes jakobinisches Verbrüderungsdiktat, sondern Brüderlichkeit nun verstanden im Sinne von Ordnung: Hierin unterschied sich der Begriff von früheren Typen der Brüderlichkeit aus den Anfangstagen der Revolution. Der berühmte Ballhausschwur am 20. Juni 1789 symbolisierte eine Brüderlichkeit der Auflehnung, der Verweigerung des Gehorsams. Als Gegenstand eines freien Pakts war die Brüderlichkeit hier der Freiheit und der Gleichheit nur nachgeordnet. Sie rangierte indes vor Freiheit und Gleichheit beim Föderationsfest am 14. Juli 1790, einem Fest, das die Übereinstimmung zwischen Verfassung und Religion sichtbar machen wollte.Sind Gleichheit und Freiheit vor diesem Hintergrund Zwillinge oder Feinde? Sie sind insofern Zwillinge, als nur das individuelle Recht universell anzuwenden ist. Aber sie sind auch Feinde, weil das eine unbestimmt ist, während das andere unablässig nach einer Bestimmung ruft. Beide Prinzipien zeichnen sich folglich durch ihre Gegensätzlichkeit aus. Hierin sind Freiheit und Gleichheit ein Spiegelbild der Revolution und verweisen stets auf die Widersprüche des Ancien Régime. Wenn man die zentrale Begriffstrias als abstraktes Konstrukt sieht, ist sie kein Widerspruch; begreift man sie indes als Aufforderung zum konkreten Handeln, ist sie es wohl. Insofern ist »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« eine Devise aus Teilwahrheiten, die sich gegenseitig blockieren.Prof. Dr. Erich PelzerWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Menschenrechte: Von kollektiven und individuellen RechtenEuropa 1789. Aufklärung, Verklärung, Verfall, herausgegeben von Werner Hofmann. Bearbeitet von Irene Eder u. a. Ausstellungskatalog Kunsthalle, Hamburg. Köln 1989.Freiheit - Gleichheit - Brüderlichkeit. 200 Jahre Französische Revolution in Deutschland, herausgegeben von Gerhard Bott. Bearbeitet von Rainer Schoch. Ausstellungskatalog Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg. Nürnberg 1989.Heuvel, Gerd van den: Der Freiheitsbegriff der Französischen Revolution. Studien zur Revolutionsideologie. Göttingen 1988.Lüsebrink, Hans-Jürgen / Reichardt, Rolf: Die Bastille. Zur Symbolgeschichte von Herrschaft und Freiheit. Frankfurt am Main 1990.Ozouf, Mona: Das Pantheon. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Zwei französische Gedächtnisorte. Aus dem Französischen. Berlin 1996.
Universal-Lexikon. 2012.